Schikaniert

Warum sich viele unserer radfahrenden Leserinnen und Leser (darunter auch ich) ungerecht behandelt fühlen.

Emil Biller
vom 05.08.2021

Ist es eigentlich fair, dass per Rad begangene Verkehrsdelikte genauso hoch bestraft werden wie solche per Auto? Diese Frage haben wir im FALTER.morgen Anfang der Woche aufgeworfen – und selten zu einem Thema so viele und so kontroversielle Mails bekommen.

Dass die einen dagegen sind und die anderen dafür, ist das eine; die Reaktionen zeigten aber auch recht deutlich, dass die urbane Straßenverkehrspopulation in zwei Lager zerfällt, die immer weniger miteinander können – die Radler und der Rest (wobei das Zugehörigkeitsgefühl situationselastisch wechseln kann, je nachdem, ob man gerade auf zwei Rädern bzw. vier oder zwei Beinen unterwegs ist).

Wir nehmen das zum Anlass, das Thema – durchaus persönlich gefärbt – aus den beiden unterschiedlichen Blickrichtungen zu beleuchten.

Hier die Radfahrer-Perspektive – unter diesem Link die andere, aufgeschrieben von Martin Staudinger

Erst kürzlich war ich Zeuge eines kleinen Unfalls. Eine junge Radfahrerin wurde auf der engen Schienenstraße direkt vor meinem Haus von einem vorbeifahrenden Auto in Richtung Parkstreifen gedrängt und stürzte. Der Autofahrer blieb stehen, erkundigte sich, ob eh nichts Gröberes passiert sei (dem war zum Glück nicht so) und fuhr weiter. Die Radlerin stand perplex und leicht geschockt auf und schob ihr offensichtlich etwas verbogenes Fahrrad auf dem Gehsteig davon.

Solchen gefährlichen Situationen sind wir von der Drahtesel-Fraktion in Wien täglich ausgesetzt (mein Rad und ich sind bisher zum Glück von gröberen Unfällen verschont geblieben). Schuld daran ist unter anderem eine Stadt, die verkehrsplanerisch auf den steinzeitlichen Autoverkehr ausgerichtet ist und eine Politik, die zu wenig dafür tut, dies zu ändern. Gleichzeitig radeln aktuell so viele Menschen durch Wiens Straßen wie nie zuvor. Diese Bedingungen machen sich beim harten Kampf um den Platz im öffentlichen Raum bemerkbar, beklagen auch Leserinnen des FALTER.morgen. Gerlinde W. fühlt sich als langjährige Radlerin momentan „gejagt”: „Ich muss mich von AutofahrerInnen beschimpfen lassen (‚Depperte‘!), wenn ich erlaubterweise gegen die Einbahn fahre. Die unterschiedlichen Verkehrsgruppen werden gegeneinander ausgespielt, die Stadt Wien sollte besser clevere strukturelle Änderungen umsetzen!”

Zudem finden Radkontrollen oft dort statt, wo die Infrastruktur aus Fahrrad-Sicht mangelhaft ist und fast zu Verwaltungsübertretungen einlädt. So berichtete ein Radfahrer davon, dass er abgestraft wurde, weil er eine rote Radampel missachtete, die beim Annähern an die Kreuzung gar nicht einsehbar war. Die Polizei überzeugte das nicht. Auch unfaire Behandlung durch die Exekutive wird häufig beklagt. Eine 55-jährige Radlerin, die laut eigenen Angaben immer sehr gewissenhaft und sogar mit Warnweste unterwegs ist, versteht nicht, warum sie neulich frühmorgens von offensichtlich fadisierten Polizisten auf der Mariahilfer Straße aufgehalten wurde und blasen musste: „Ich besitze seit 1984 den Führerschein und hatte beim Autofahren noch nie eine Alko-Kontrolle.” Zwei andere Leser wurden als Radelnde fürs Fahren über Rot belangt, während andere anwesende Verkehrssünder (Auto und Fußgänger) in denselben Situationen von den Herren in Blau unbehelligt blieben.

Es herrscht wohl auch unter den meisten Radfahrerinnen (einzelne Ausnahmen und „Rowdys” gibt es sicher) Einigkeit darüber, dass sich im Verkehr alle an die Regeln zu halten haben. Es muss aber auch die Frage gestellt werden, wie das Miteinander im Straßenverkehr strukturell verbessert werden kann. Ob häufige Radkontrollen an viel befahrenen Stellen und teils schikanöse Behandlung von Radlern dabei hilfreich sind, sei dahingestellt.

Um es mit den Worten einer Leserin zu halten: „Die rechtliche Stellung der jeweiligen Fortbewegungsart sollte auf jeden Fall die Komponente beinhalten, wie erwünscht sie ist. Ist die Politik, die Stadtregierung, davon überzeugt, dass mehr Menschen gerne und sicher zu Fuß gehen und das Fahrrad benutzen sollen, dann müssen den erwünschten Fortbewegungsarten diverse (viele!) Erleichterungen eingeräumt werden.”

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