„Den perfekten Popsong gibt es nicht“

Franz Adrian Wenzl über jugendliche Anarchie und erwachsenes Wutbürgertum, David Alaba, Angela Merkel und „Atlantis“, das neue Album seiner Band Kreisky

FALTER:Woche, FALTER:Woche 3/2021 vom 19.01.2021

Kreisky, von links: Helmuth Brossmann (Bass), Klaus Mitter (Schlagzeug), Franz Adrian Wenzl (Gesang, Synthesizer), Martin Max Offen (Gitarre (Foto: Ingo Pertramer)

Nein, Udo Jürgens stand nicht Pate für die aktuellen Fotos der Rockband Kreisky. Ihr neues Album heißt „Atlantis“, und die Assoziationen hätten eben ins Badezimmer geführt, erklärt Franz Adrian Wenzl, der Sänger und Texter. Gehört habe er den verstorbenen Kollegen während der Arbeit an der Platte aber viel und gern, sagt der 44-Jährige: „Udo Jürgens steht für eine Art von Schlager, die eine Einfachheit hat, einen aber wirklich auch erreicht. Zumindest bei so manchem Refrain mit einer lebensbejahenden Message möchte ich das ebenfalls schaffen.“

Wenzl, der auch auch den Entertainer Austrofred verkörpert, lebt mit seiner Familie in München; das Videotelefonat fand zeitig in der Früh statt. Anschließend musste sich der Sänger dem Homeschooling seines siebenjährigen Sohnes widmen.

Falter: Herr Wenzl, wie ist das >werte Befinden?

Franz Adrian Wenzl: Ganz gut. Über die äußeren Umstände brauchen wir nicht zu reden, denn das geschieht eh ständig. Aber ich freue mich, dass wir eine neue Platte anzupreisen haben und wenigstens so unseren Beruf ausüben können. Das bisher letzte Konzert haben wir im September 2019 gespielt. Ein Wahnsinn, so eine lange Pause hatten wir noch nie.

Was macht es mit dem Performer, wenn er nicht performen darf?

Wenzl: Es geht etwas ab, aber ich laufe auch nicht Amok, wenn es mit den Auftritten noch dauert. Die Tournee zur neuen Platte haben wir optimistisch für März und April angesetzt. Bewusst in Theaterräumen, wo man es sehr safe abwickeln kann. Vom Programm her wäre das natürlich auch weniger auf Körperlichkeit ausgerichtet. Ein Kreisky-Chansonabend, sozusagen.

Haben Sie 2020 Corona-Songs geschrieben oder Corona-Literatur produziert?

Wenzl: Vom einen oder anderen Kommentar auf Facebook abgesehen: nein. Ich hoffe auch, dass uns das zumindest im Nabelschaubereich erspart bleibt. An sich ist eine Seuchenzeit ein tolles Thema. Isolation, das ist wie Liebe und Krieg. Gut für den Kreativen, wenn so etwas als Erfahrung auftaucht. Allerdings brauche ich nicht von jedem Musiker einen Wohnzimmersong.

Unmittelbar vor dem ersten Lockdown waren Sie Teil einer Musical-Klamauk-Version von „Orpheus in der Unterwelt“ im Rabenhof. Wie sind Sie da hineingeraten?

Wenzl: Die Regisseurin Ruth Brauer hat mich gefragt. Super, dachte ich mir, da gibt es was zu lernen! Ich mache gerne eine neue Kreisky-Platte, bei der es nach all den Jahren vor allem um Verfeinerung geht. Aber es taugt mir auch, ins kalte Wasser zu springen, wo es eventuell peinlich werden kann – und womöglich auch wird.

In Sibylle Bergs Wutbürger-Stück „Viel gut essen“ haben Sie 2017 als Hauptdarsteller beeindruckt. War der lustige Rockstar-Pluto im „Orpheus“ ein Kontrast fürs Karma?

Wenzl: In Wirklichkeit ist auch Pluto ein Wutbürger. Letztendlich wird eh alles, was ich mache, irgendwie ähnlich, sei es als Austrofred oder als Musicaldarsteller. Es hat mit Überheblichkeit und Arroganz zu tun, die Stimme wird immer sehr laut, schnarrend und unangenehm sein, und wahrscheinlich wird Wortwitz eine Rolle spielen. Dazu ein bisschen Drama und etwas zu dick auftragen.

Woraus schöpfen Sie da?

Wenzl: Früher fand ich den Menschen, der sich über etwas Absurdes maßlos aufregt, einfach komisch und interessant. Wobei der Wutbürger inzwischen natürlich nicht mehr witzig ist. Aus dem einstigen Spaß wurde eine politische Realität, die in den USA mittlerweile schon wieder abgewählt worden ist. Schimpfen empfinde ich trotzdem nach wie vor als interessantes gesangliches Stilmittel, ich bemühe mich aber bewusst auch um andere Formen. Das Schimpfen ist nur mehr ein Gewürz von vielen. Oder mehreren zumindest.

Protest und Dagegensein war schon einmal einfacher als heute, oder?

Wenzl: Ja, klar. Früher ging es etwa darum, den Medien kritisch gegenüberzustehen und deren Abbildung der Wirklichkeit zu hinterfragen. Heute hingegen muss man sie ständig irgendwem gegenüber verteidigen, weil die Angriffe aus einer derart absurden Ecke kommen.

Hat das Zornbinkerl in Ihnen irgendwo auch Sympathie mit den Querdenkern?

Wenzl: Mitgefühl ja, Sympathie nein. Ich verachte diese Menschen nicht, weil ich sehe, dass es Biografien gibt, die so eine Entwicklung nahelegen. Ein kleines Detail stets wichtiger zu nehmen als eine große Logik ist aber doch ziemlich blöd.

„Ich finde keine Sprache, um Menschen zu erreichen“, singen Sie. Liegt darin das Problem unserer Zeit: Es wird so viel kommuniziert wie noch nie, doch es hapert an einer gemeinsamen Sprache?

Wenzl: Weniger an einer gemeinsamen als vielmehr an einer jedem angemessenen, differenzierten. Schauen wir uns zwei große moralische Instanzen der Vergangenheit an, die katholische Kirche und die Sozialdemokratie: Die hatten ja nicht den einen Slogan, der für alle gegolten hätte. Über Marxismus kann man auf höchstem Niveau diskutieren, der SPÖ-Funktionär aber, der von Haus zu Haus ging, hat ganz anders geredet. Genauso klingt es anders, wenn im Vatikan über Glaubensfragen diskutiert wird, als wenn der Pfarrer zu seiner Dorfgemeinde spricht. Dieses Durchdeklinieren geht heute oft ab, gerade auch, wenn es um Political Correctness geht. Das findet im akademischen Raum statt, und dort wird vorausgesetzt, dass es nach unten sickert. Ohne Sprache, um die Leute dort abzuholen, wo sie sind, funktioniert das aber nicht.

Der Musiker und lautstarke Trump-Kritiker Neil Young hat Verständnis für jene Menschen gezeigt, die in den USA das Kapitol gestürmt haben. „Ich empfinde Mitgefühl für jene, die dermaßen manipuliert wurden und deren Überzeugungen als politische Waffe missbraucht wurden“, sagte er. Ist das sympathisch – oder doch zu viel des Guten?

Wenzl: Ich neige selbst stark dazu, mich um Verständnis zu bemühe. Natürlich sind das unglaublich intolerante Idioten, und trotzdem traue ich mich nicht, den Stab zu brechen. Darum bin ich auch kein Politiker, sondern mache vage Popsongs.

Apropos Politiker: Aus Österreich blickt man neidvoll nach Deutschland, wo Angela Merkel der Pandemie mit einer hierzulande unbekannten Besonnenheit und Klarheit begegnet. Wie erleben Sie das?

Wenzl: Weltanschauliches außen vor gelassen, würde ich Merkel auf jeden Fall zugestehen, dass sie eine redliche Person ist und Sachen nach bestem Wissen und Gewissen macht – was nicht bei jedem österreichischen Leistungsträger der Fall ist.

Wie meinen Sie das?

Wenzl: Man merkt schon, dass Sebastian Kurz stets auch eine eigene Agenda verfolgt. Anderswo werden Fehler eingestanden, bei ihm wäre das undenkbar. Noch etwas ist schade: Bei vielen Politikern oder generell Menschen des öffentlichen Lebens kann man sich vorstellen, wofür sie sich künstlerisch interessieren. Bei Kurz hingegen: komplette Fehlanzeige.

Namenspate Ihrer Band ist der SPÖ-Altkanzler Bruno Kreisky. Was fällt Ihnen zum aktuellen Zustand der SPÖ ein?

Wenzl: Sie steht mit dem Rücken zur Wand, und da passieren einfach auch Fehler. Populismus scheint aktuell der einzig erfolgversprechende Weg zu sein, für eine sozialdemokratische Partei ist das aber hochproblematisch. Zudem ist die Kluft zwischen linkem Denken und Arbeiterschaft offenbar nicht mehr überbrückbar. Gerade für die Sozialdemokratie wäre ein Vokabular, um möglichst viele Menschen zu erreichen, so wichtig. Nur hat dieses Vokabular derzeit halt niemand.

Würden Sie als Musiker eigentlich lieber über Gitarrenriffs und Verstärker als über Politik sprechen?

Wenzl: Von Gitarrenriffs habe ich ja noch weniger Ahnung als von Politik! Über das eigene Handwerk rede ich aber ganz gern. Oder darüber, wie man ein gutes künstlerisches Leben gestaltet.

Nämlich?

Wenzl: Man macht etwas, an dem man Freude hat; man erkennt seine eigenen Schwächen und baut sie zu Stärken aus, statt sie zu kaschieren; man entwickelt sein eigenes Vokabular. Und vor allem sucht man seinen Sinn darin, etwas für sich Beglückendes zu tun, und kümmert sich nur bedingt darum, ob es anderen gefällt oder nicht.

Kreisky bestehen seit 2005. Was treibt Sie nach wie vor an?

Wenzl: Letztendlich, dass es Spaß macht. Geld natürlich nicht, Ruhm durchaus ein bisschen. Positive Rückmeldungen auf ein Album sind schon super. Diesmal sind sie durch die Bank euphorisch, was einen irgendwie auch trägt. Man weiß seine Arbeit ja doch ein bisschen einzuschätzen, und bei „Atlantis“ denke ich mir selbst: Okay, da ist sich alles optimal ausgegangen. Wer weiß, ob wir noch einmal so eine gute Platten machen werden?

Was verbinden Sie denn mit dem versunkenen Inselkönigreich?

Wenzl: Wir wollten mit der Platte die Diskrepanz ausleuchten zwischen seinen Vorstellungen in der Jugend und dem, wie man als Erwachsener geworden ist. Ist man zu abgebrüht? Oder einfach erfahren? Wo ist der Kipppunkt? Und was würde man seinem jüngeren Ich oder einem tatsächlich heute jungen Menschen mitgeben? Wir haben etwas gesucht, das zum Thema „verschollenes Ideal“ passt, so sind wir bei Atlantis gelandet.

Auf das Leben vor der Pandemie spielt der Titel aber nicht an?

Wenzl: Nein. Wir haben das Album im Juni 2019 aufgenommen und im Februar noch vor dem ersten Lockdown fertiggestellt, ursprünglich sollte es im Sommer erscheinen. Man kann die neuen Lieder trotzdem in den Pandemie-Kontext stellen: Es geht um Isolation, Sprachlosigkeit, ums Durchhalten und um Selbstermächtigung.

Wem gehört die Welt?

Wenzl: Meiner publizierten Meinung nach den Mutigen, den Blutigen, denen, die nicht aufhören zu tanzen. Zumindest würde ich das dem jungen Menschen sagen, für den sich gerade die Welt öffnet.

Aber tatsächlich gehört sie doch den Banken, Großkonzernen und Social-Media-Unternehmen!

Wenzl: Diese Sichtweise ist mir als 44-Jährigem sehr nahe, ich würde sie einem 17-Jährigen aber nicht mitgeben. Gerade als junger Mensch sollte man die Welt sehen, wie man sie sehen will, und nicht so, wie sie ist.

„Wer mit 20 kein Anarchist ist, hat kein Herz, wer es mit 40 immer noch ist, hat kein Hirn“, heißt es.

Wenzl: In der Überzeichnung liegt darin schon auch Wahrheit. Jedes Lebensalter hat seine Qualitäten. Jene der Jugend sind das Entdecken und Sachen-umreißen-Wollen, später kann man abschätzen, vergleichen und in Kontexte einordnen. Unser Album ist allerdings ein Plädoyer, sich den 20-Jährigen zu bewahren. Möglichst ein bisschen Anarchist zu bleiben also – und im Gegenzug vielleicht als 20-Jähriger schon einmal einen anderen Weg als mit dem Kopf durch die Wand zu suchen.

„Atlantis“ endet mit einer trotzigen Hymne der Konformitätsverweigerung: „Wenn einer sagt, was du da machst, hat doch keinen Sinn, sag: Es hat meinen Sinn“, singen Sie. So einfach ist das also?

Wenzl: Nein, natürlich nicht. Aber dafür macht man ja Popsongs, dass etwas einfach ist. Ich muss darin nicht Krieg und Frieden oder die Französische Revolution abbilden, sondern ich muss ein Gefühl einfangen.

Wie stehen Sie als Wahlmünchner eigentlich dem FC Bayern gegenüber?

Wenzl: Es ist interessant, in einer Stadt zu leben, in der es so einen großen Fußballklub gibt. Obendrein ist die Vereinszentrale nur einen Steinwurf von meiner Wohnung entfernt, es kann also passieren, dass man einem Spieler auf der Straße begegnet. Mein Herz hängt nicht an den Bayern, ich frohlocke aber auch nicht, wenn sie verlieren.

Und wie halten Sie es mit David Alaba, dem Wiener Star in der Bayern-Abwehr?

Wenzl: Im Zweifelsfall hege ich eher Sympathien als über seine Geldgier und seinen Jesustick zu lästern. Ein paar Macken sollen die Leute eh haben, das macht sie charmanter. Alaba wirkt weniger geschult als viele andere. Auch Popmusik lebt von der Persönlichkeit. Den perfekten Popsong, der von einem x-beliebigen Interpreten dargeboten wird, gibt es nicht.

Nein?

Wenzl: Nein, denn er ist nicht perfekt, sondern grundlangweilig. Die Beatles zeichnet nicht zuletzt die Dynamiken aus, die es nur zwischen diesen vier Menschen geben konnte. Gewisse Dinge können eben nur gewisse Typen machen. Darum singt Bob Dylan auch besser als tausende Sängerinnen und Sänger mit perfekten Stimmen. Weil er Bob Dylan ist und genau dieses Stück Persönlichkeit einbringt, um das es geht. Daher darf auch David Alaba sein, wie er ist – und singen, wie er singt.

Wie kommt der letzte große heimische Skistar, Marcel Hirscher, auf „Atlantis“?

Wenzl: Das Lied heißt zwar „Abfahrt Slalom Super-G“, es geht darin aber nicht um Skifahren, sondern um Isolation und Sprachlosigkeit. Die Sinnlosigkeit des ewigen Hinunterfahrens auf zwei Brettern im Kontrast zur Sinnlosigkeit des eigenen Lebens erscheint mir als reizvolles Bild.

„Komm zu mir, Marcel Hirscher“, singen Sie. „Ich übergieße dich mit Milch, damit du weich bleibst. Weich und weiß.“ Was soll das denn bedeuten?

Wenzl: Es ist kondensiert das Thema der Platte: nur nicht abhärten lassen vom Business und von Raika-Knebelverträgen, sondern sich auch als Marcel Hirscher seinen Idealismus bewahren! Wobei es natürlich nicht um den echten Hirscher geht, sondern die Botschaft der Ansprache dem gedachten Hörer gilt. Bleib weich! Bewahr dir deine Ideale, das Zugehen auf andere Leute, das Zugehen und Annehmen! Dass Hirscher gleich seine Karriere beendet hat, nachdem ich das Lied geschrieben hatte, nehme ich ihm trotzdem ein bisschen übel.


Kreisky, 2005 in Wien gegründet, spielen dem Groben zugeneigten Rock mit unkonventionellen deutschen Texten, ihre (Anti-)Hits tragen Titel wie „Scheiße, Schauspieler“, „Veteranen der vertanen Chance“ oder „ADHS“. Das aus der Experimentalpopband Gelée Royale hervorgegangene und nach dem Politiker Bruno Kreisky benannte Quartett wirkte 2017 in der Wiener Inszenierung des Sibylle-Berg-Stücks „Viel gut essen“ am Rabenhof mit; Sänger Franz Adrian Wenzl war in der Hauptrolle zu sehen. „Atlantis“ ist das sechste Studioalbum der Band

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