SPÖ-Machtkampf: Tragödie und Farce zugleich - FALTER.morgen #537

Versendet am 23.03.2023

Die SPÖ führt die Suche nach ihrem neuen Parteichef selbst ad absurdum – jetzt dürfen plötzlich alle kandidieren >> Gekifft wird die ganze Woche lang: Wie Wien in der neuen EU-Drogenstudie abschneidet >> Ein neues Ausbildungsprogramm will Politik zum zertifizierten Beruf machen >> Der Fassadenleser über einen eleganten Müllunterstand

Wetterkritik: Hach, Frühling! Fast wolkenlos und leicht windig bei bis zu 21 Grad – was will man mehr vom März in der Stadt?


Guten Morgen!

Der Dienstag war der Tag der Schleichwege für die SPÖ. Seniorenchef Peter Kostelka verließ das Parteipräsidium vorzeitig, die Tür zum Klubobfrauzimmer war versperrt, also verabschiedete er sich aus dem Gebäude durch den sogenannten „kalten Gang“, einem schmalen Flur über einen der vielen Innenhöfe des Parlaments. Nur nicht an der wartenden Presse vorbeigehen! Auch andere Präsidiumsmitglieder huschten wortlos aus dem Sitzungsraum hintenrum raus. Ihre Mienen sagten ohnehin genug.

Es gab nichts Freudiges zu verkünden. Die SPÖ hat sich, um es mit den Worten eines Gewerkschafters auszudrücken, den Nina Horaczek und ich im aktuellen Falter zitieren, noch weiter in die Rue de la Gack manövriert.

Unser übriges Programm: Die EU-Drogenbeobachtungsstelle hat erstmals das Wiener Abwasser auf Suchtmittel untersucht. Wie viel Koks, Gras und Ecstasy in der Stadt konsumiert wird, lesen Sie im Anschluss. Eva Konzett berichtet über ein neues Ausbildungsprogramm für Politiker. Und unser Fassadenleser Klaus-Jürgen Bauer hat in Margareten einen eleganten Müllunterstand entdeckt.

Einen schönen Tag wünscht Ihnen

Barbara Tóth


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Absurdes Theater

Alle, die sich bis Freitag melden, dürfen als SPÖ-Parteichef antreten. Und alle, die bis Freitag Parteimitglied werden, dürfen mitbestimmen. Roter Demokratieschub? Nein, Selbstbeschädigung.

„Das ist doch verrückt“, sagt ein Präsidiumsmitglied, das sich nicht zitieren lassen will. „Ich muss es erst sacken lassen“, flüstert Burgenlands SPÖ-Chef Hans-Peter Doskozil (HPD) in die Mikrofone. Parteichefin Pamela-Rendi-Wagner (PRW) versucht, gefasst zu bleiben: „Es ist, wie es ist“.

Gestern traf sich das SPÖ-Parteipräsidium, um zu entscheiden, wie die Mitgliederbefragung über den oder die neue Parteichefin im Detail ablaufen soll. Bis Dienstagfrüh hatte es ganz nach einem Duell zwischen HPD und PRW ausgesehen. Dann verkündete der Wiener Parteirebell Niki Kowall von der „Sektion 8“, dass auch er gerne antreten würde. Es war vor allem eine symbolische Kandidatur, um die Parteiführung herauszufordern - und ihr mehr Basismitbestimmung abzuringen.

Die Wiener wehrten sich dagegen, so lange es ging. Aber gestern im Parteipräsidium war klar: Kowall den Antritt zu verweigern, hätte die aktuelle SPÖ-Führung wie Steinzeit-Sozialisten aussehen lassen. Also preschte sie nach vorne – und verkündete: Antreten darf nicht nur Kowall, sondern alle, und zwar sprichwörtlich alle, die SPÖ-Mitglieder sind oder es bis Freitag noch werden. Ohne Unterschriftensammeln, ohne Empfehlung einer Bezirksorganisation, ohne Funktion in der Partei. Bis gestern Abend haben sich bereits zwei weitere Männer, einer aus Niederösterreich, einer aus dem Burgenland gemeldet – beide weithin unbekannt.

Und es dürfen auch alle, die bis Freitag noch SPÖ-Mitglied werden, bei der Befragung mitmachen, die von 24. April bis 10. Mai laufen soll. Als statutarisch bindend war diese Mitgliederbefragung ohnehin nie geplant, sie ist eine Empfehlung für den Parteitag, der am 3. Juni folgt. Aber auch dort können sich noch andere Möchtegern-Parteivorsitzenden melden. Wenn man so will, ist jetzt alles wieder offen. 

Endlich Basisdemokratie!, jubeln die einen. Macht es das Ganze nicht zur Klamotte und schadet am Ende der Partei?, fragen die anderen – und das zurecht. Denn wenn ernstzunehmende Kandidaten wie Kowall neben Selbstdarstellern und Spaßkandidaten stehen, dann entwertet es diesen Prozess. Und das ist offenbar auch das Kalkül der Wiener Roten hinter Rendi-Wagner. Sie mussten sich die Mitgliederbefragung von ihrem Erzfeind Doskozil aufdrängen lassen – und dem droht nun das Schicksal, im Gewusel von Herausforderern zu einem Möchtegern-Parteichef von vielen zu werden.

Aus dem Duell oder Triell wird so eine Ho-Ruck-die-SPÖ-sucht-ihren-Superparteichef-Farce.

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Ostermarkt bei Julius Meinl am Graben | 6. – 8. April 2023

Genussreich und besonders – soll Ostern sein!

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Hier finden Sie allerlei Ostergeschenke von Julius Meinl am Graben.

www.meinlamgraben.eu

Mo – Fr. 08.00 – 19.30 Uhr, Sa 09.00 – 18.00 Uhr


Falter-Radio

Tabubruch in Niederösterreich

Was löst die Koalition der ÖVP mit der zunehmend rechtsextremen FPÖ aus? Darüber sprechen in der aktuellen Folge unseres Podcasts (v.l.n.r.) ZDF-Korrespondent Wolf-Christian Ulrich, Falter-Redakteurin Nina Horaczek, der Schriftsteller Robert Schindel, Presse-Kolumnistin Rosemarie Schwaiger und ÖVP-Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner. Moderation: Raimund Löw (3.v.r.).


Stadtnachrichten

Bei diversen internationalen Rankings landet Wien ja verlässlich auf Platz 1 (interessanterweise sowohl in puncto Lebensqualität als auch hinsichtlich der Unfreundlichkeit der Ureinwohner – man schließe daraus, was immer man will). Jetzt gibt es endlich eines, bei dem sich die Stadt freuen kann, nicht ganz vorne zu rangieren. Es geht um eine EU-Studie zum Suchtgiftkonsum. Durchgeführt wurde sie vergangenes Jahr von der EU-Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA, aufbereitet vom Rechercheverbund European Cities Investigative Journalism Accelerator (ECIJA) (hier geht es zu einem ORF-Bericht darüber). Grundlage waren Wassertests an insgesamt 107 Kläranlagen-Standorten in Europa.

Das Ergebnis: Im Ranking liegt Wien zwar ziemlich weit oben, bei den konsumierten Mengen aber nicht – die Platzierung lässt also bloß bedingte Rückschlüsse auf die tatsächliche Dramatik der Situation zu, weil in einigen wenigen Spitzenreiter-Städten (etwa Antwerpen und Amsterdam) eklatant mehr Suchtgift verbraucht wird als im breiten Mittelfeld.

Beim Koks-Konsum beispielsweise landet Wien zwar auf Platz 26 von 107 und damit im obersten Viertel – allerdings „nur“ mit einer durchschnittlichen Menge von 371 Milligramm pro tausend Einwohner (in Kufstein und Umgebung wurde im Messzeitraum übrigens eineinhalb Mal soviel Schnee verpulvert als in Wien). Zum Vergleich: In Antwerpen, der Kokain-Hauptstadt Europas, werden täglich 2381 Milligramm pro tausend Nasen geschnupft, also das Sechsfache.

Ähnlich sind die Ergebnisse bei

  • Cannabis (Platz 22 von 55 Standorten, die auf diese Substanz getestet wurden): 83 mg, Genf (Platz 1): 181 mg

  • Ecstasy (Platz 23/103): 18 mg, Amsterdam: 182 mg

  • Chrystal Meth (Platz 26/93): 28 mg, Ostrau (Tschechien): 915 mg

  • Speed (Platz 56/99): 39 mg, Gävle (Schweden): 873 mg

„Insgesamt ist das ein sehr zufriedenstellendes Ergebnis, wiewohl sich das sehr schnell ändern kann“, so Ewald Lochner, Chef der Wiener Sucht- und Drogenkoordination, im ORF-Wien-Interview.

Und noch eine Erkenntnis aus der Studie: Kokain und Ecstasy sind in Wien Wochenend-Drogen, gekifft wird die ganze Woche lang.


Pünktlich zum Frühlingsbeginn hat die Stadt gestern das Programm zum Ausbau der Radwege für 2023 präsentiert. Über 20 Kilometer an neuer Fahrrad-Infrastruktur sollen heuer entstehen (voriges Jahr waren es 17). Ein Überblick:

© Stadt Wien

  • Ein weiterer Radhighway entsteht vom Kärntner Ring über die Argentinierstraße, den Hauptbahnhof bis zum Verteilerkreis und weiter ins niederösterreichische Leopoldsdorf (der erste wird gerade in der Donaustadt gebaut).

  • In Favoriten werden unter anderem Lücken in der Triester Straße, der Neilreichgasse, der Laxenburger Straße und der Landgutgasse geschlossen.  

  • Die Pfeilgasse in der Josefstadt wird vom Gürtel bis zur Strozzigasse zur Fahrradstraße (d.h. Radler haben Vorrang).

  • Die Wiedner Hauptstraße bekommt zwischen Freihaus und Johann-Strauß-Gasse einen neuen Radweg (die Bauarbeiten beginnen allerdings erst 2024).

  • In Penzing bekommt die Kendlerstraße einen Zwei-Richtungs-Radweg. 

  • In der Donaustadt entstehen neue Radwegprojekte in der Erzherzog-Karl-Straße, Kaisermühlenstraße, am Rennbahnweg und in der Ludwig-Reindl-Gasse.

Positiv sieht die Mobilitätsorganisation VCÖ die Ausbaupläne der Stadt. Allerdings sei der Aufholbedarf bei der Radinfrastruktur in Wien insgesamt groß. Vor allem in Flächenbezirken fahren nach wie vor nur wenige Menschen mit dem Rad (in Favoriten und der Donaustadt liegt der Anteil des Radverkehrs bei lediglich vier Prozent). 

Der VCÖ meint, dass die Bezirke selbst mehr tun müssten, um das Radeln attraktiver zu machen. „Dass es nach wie vor Straßen gibt, wo selbst abgestellten Pkw mehr Platz gegeben wird als der bewegungsaktiven Mobilität, ist eine eklatante Benachteiligung und Einschränkung der Bürgerinnen und Bürger, die klimafreundlich, gesund und energiesparend mobil sind“, sagt VCÖ-Experte Michael Schwendinger.


Ausbildung

Eva Konzett

Die Politik-Fabrik

Kann man Politik lernen? Ja, sagt Sonja Jöchtl. Sie startet ein Ausbildungsprogramm für angehende Volksvertreter. 

Am Anfang stand eine bedrückende Beobachtung: Politiker sind meist männlich, meist weiß, meist alt. Und es geht ihnen nicht gut. Sie werden beschimpft und drangsaliert, sie hadern mit ihrem Job. Das Schlimmste aber ist: So sehr sie sich abplagen – das Wahlvolk hat trotzdem kein Vertrauen mehr in sie.

Diese Erkenntnis kam Sonja Jöchtl im August 2021 im kleinen österreichischen Bergdorf Alpbach. Jöchtl war damals Geschäftsführerin des Forum Alpbach, jenes Event, das jährlich die Politprominenz, die Wirtschaftselite und Nachwuchshoffnungen nach Tirol bringt. Und sie war erschüttert nach all den Gesprächen. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, bevor wir den Karren ganz an die Wand fahren“, sagt Jöchtl jetzt bei einem Kaffee in der Wiener Innenstadt. 

Und lacht dabei. Denn sie hat in den vergangenen eineinhalb Jahren an einer Lösung, an einem Gegenentwurf zur Politiker-Misere gearbeitet. Heute stellt die 46-Jährige Love Politics vor: Ein Ausbildungsprogramm für angehende Politikerinnen und Politiker und Quereinsteiger, die es werden wollen.

Das Programm ist überparteilich und berufsbegleitend. Das Ziel: Einen anerkannten Abschluss für Politiker zu schaffen, einen Politik-Master sozusagen. Jöchtl will damit vor allem jene ansprechen, die keine klassische Politikerkarriere über Jugendorganisation und Parteiakademie durchlaufen haben – „die wissen ja gar nicht, wo die Tür zur Politik ist”. Neun Monate soll der Kurs dauern, die ersten zwei Jahrgänge werden gerade gesucht. Interessierte aus Deutschland, der Schweiz und Österreich können sich melden. Das Gütesiegel kommt von der Hertie School of Governance in Berlin

Aber was lernt man eigentlich als angehender Politiker? Das Programm will Expertise vermitteln, das Organigramm eines Staates aufschlüsseln, Kommunikationsstrategien sowie Verwaltung von Bundesebene bis hin zum Gemeindeamt erklären. Auch ein Krisentraining ist auch vorgesehen, und das übernimmt das Bundesheer. 

Sonja Jöchtl selbst hat Kommunikation studiert und lange für die Caritas Österreich gesprochen, bevor sie zum Forum Alpbach gegangen ist. Im Brotberuf arbeitet sie derzeit für den Complexity Hub, bekannt geworden vor allem in der Corona-Krise durch den Komplexitätsforscher Peter Klimek

Ihre Mitstreiter sind nicht weniger namhaft: Altpräsident Heinz Fischer ist bei Love Politics ebenso dabei wie der ehemalige ÖVP-Politiker Franz Fischler, der Gründer des „Teach for Austria”-Programms Walter Emberger, die deutsche SPD-Politikerin Sawsan Chebli, Barbara Blaha vom Momentum-Institut, die Künstlerin Deborah Sengl und der Jungpolitiker Yannick Shetty von den Neos

Love Politics steht allen offen, die sich zur österreichischen Verfassung und zu den europäischen Werten bekennen. Jöchtl lacht: „Wir sind den Rechten zu links und den Linken zu rechts, vielleicht haben wir es also richtig gemacht”.


Stadtgeschichten

Soraya Pechtl

Ein weiter Weg

Eltern, deren Kinder zusätzliche Unterstützung benötigen, finden nur schwer einen Betreuungsplatz. Gestern haben wir von der fünfjährigen Magdalena berichtet, deren Pädagoginnen mit ihrer Diabetes-Erkrankung überfordert waren. Heute geht es um Emil, einen 1,5-Jährigen Bursche mit Trisomie 21.

Valerie Schmeisers 1,5-jähriger Sohn Emil hat Trisomie 21. Weil ihre Karenz im Juli ausläuft, hat sie bei der Stadt um einen Kleinkindgruppenplatz angesucht. Für Kinder mit „intensivem Förderbedarf” gibt es in Wien erst ab dem Kindergartenalter vorgesehene Integrations- und heilpädagogische Plätze (auch diese sind begrenzt, im Sommer 2022 standen 935 Kinder auf der Warteliste). Schmeiser ist auf die Bereitschaft der Kleinkindgruppen angewiesen. Sie können sich freiwillig bei der MA 10 melden, wenn sie ein Kind mit Behinderung aufnehmen möchten. 

In Schmeisers Bezirk gab es nur eine Gruppe und dort nur einen Platz. „Die Gruppe, die mir schließlich angeboten wurde, ist 40 Minuten von meiner Wohnung entfernt”, sagt Schmeiser. Sie würde allein für die Fahrzeit zehn Stunden pro Woche aufwenden, bei einem 20-Stunden-Job rentiert sich das nicht. 

Die Stadt würde die Plätze für Kinder mit Beeinträchtigungen zwar gerne ausbauen, sagt eine Sprecherin der MA 10 (Kindergärten) . Derzeit sei das aber nicht „in dem Ausmaß” möglich, wie man es sich wünschen würde. Der Grund: Es gebe nicht genug „Fachpersonal am Arbeitsmarkt”, so die Sprecherin. 

Ein Problem, das auch Magdalenas Eltern betrifft, über die wir gestern berichtet haben. Das Mädchen würde mit ihrer Diabetes-Erkrankung zwar keinen Integrationsplatz benötigen, in diesem Fall fehlen aber Pädagoginnen, die die medizinische Verantwortung übernehmen. Also kann die MA 10 oftmals keinen Platz in „Wohnortnähe" anbieten. 

Für Mütter wie Valerie Schmeiser bedeutet das fehlende Angebot oft, dass sie länger zu Hause bleiben und die Betreuung übernehmen müssen. Der Weg zu einem inklusiven Bildungssystem ist noch ein weiter.

PS: Eine gute Nachricht gibt es – Magdalena, die Tochter von Beatrice und Manuel N., hat kurz vor Redaktionsschluss noch einen Platz in der Nähe ihres Wohnortes bekommen. 


Frage des Tages

Was zeigt unser heutiges Satellitenbild?

© Geoland

Auflösung von gestern: In Wien sind 3.145 Personen in der Landwirtschaft beschäftigt (und nicht 970 oder 8.750).


Lokal

Hemma (1010 Wien)

Vor einem Jahr wurde das Lokal in der Landesgerichtsstraße 12 von einer Gruppe austro-serbischer und -kroatischer Unternehmer mit starkem Schwedenbezug übernommen. Die daraus etwas mit „Scandinavian Feeling“ machen wollten. Und sagen wir so: Die Leute vom Hemma, so wurde das Lokal genannt, lösten das unkonventionell. Etwa mit dunkelblauer Wandfarbe, reichlich beleuchtetem Onyx-Stein, Discokugel, Loungemobiliar und einer Wandmalerei. Darauf zu sehen: Skandinavien und ein Wikingerschiff.

Falls sich das Scandinavian Feeling da noch nicht einstellen sollte, wird abends eine Fine-Dining-Fusion zwischen skandinavischer und „moderner“ Küche zelebriert, was ein bisschen seltsam klingt, weil die „nordic cuisine“ eigentlich gerade als das Modernste gilt, was es gibt. Aber okay, skandinavische Einflüsse auf der ­Speisekarte sind eh eher eine Suchaufgabe.

Mittags gibt’s ein dreigängiges Menü, auch hier skandinavisch beeinflusst, wird versprochen. Auf die Frage, was von Branzino-Filet mit Kürbiscreme, geschmorter Fledermaus oder Fenchel mit Gnocchi und Kirschtomaten denn am skandinavischsten sei, einigten sich Geschäftsführer Mikael Dajic und ich auf den Fisch.

Die ganze Lokalkritik von Florian Holzer lesen Sie hier.


Event des Tages

Lisa Kiss

Theater

Jede Vorstellung des Stück „Chinchilla Arschloch, waswas“ ist wie eine Uraufführung, weil sich nichts wiederholen lässt. In den Inszenierungen des Regiekollektivs Rimini Protokoll stehen keine Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne, sondern Menschen, die persönlich oder beruflich etwas mit dem verhandelten Thema zu tun haben. Diesmal treten drei Männer mit Tourette-Syndrom auf, unterstützt von der Musikerin Barbara Morgenstern. Mehr dazu finden Sie in der Falter:Woche, Ausgabe 11/23.

Volkstheater, 19.30 (auch am 24.3.)


Buch

Brian Fagan & Nadia Durrani: Was im Bett geschah

Lauter schöne Bettgeschichten: Im Grab von Tutanchamun fand sich das früheste Exemplar eines zusammenklappbaren Bettes – und das im 14. Jahrhundert vor Christus. Die Könige Frankreichs regierten ihr Reich vom Himmelbett aus.

Ludwig XIV. besaß gar 400 davon, eins prächtiger als das andere, manche trugen sogar eigenwillige Namen. England war stolz auf das Große Bett, drei Meter lang und breit, zweieinhalb Meter hoch, gebaut im späten 16. Jahrhundert. Es lässt sich noch heute im Londoner Victoria and Albert Museum bestaunen; selbst Shakespeare war es eine Anspielung wert.

Marcel Proust schrieb seine „Suche nach der verlorenen Zeit“ größtenteils in horizontaler Position. Der exzentrische Premierminister Winston Churchill führte seine Amtsgeschäfte mitunter von der Matratze aus und rang liegend um den Sieg über Nazi-Deutschland. (Ulrich Rüdenauer)

Die gesamte Rezension und mehr über das Buch unter faltershop.at

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SINNESRAUSCHEN 2023

SAVE THE DATE: 25. März 2023, 19 Uhr

Es ist wieder Festivalzeit im Haus der Musik! Nach dreijähriger Pause präsentiert das HdM Sinnesrauschen endlich wieder große Melodien herausragender Indie- und Alternative-Acts. Eine Kooperation mit der Vienna Songwriting Association.


Der Fassadenleser

Klaus-Jürgen Bauer

Der subversive Müllunterstand

Im fünften Bezirk, dort, wo die Schußwallgasse in den Gürtel einmündet, steht eine große Wohnhausanlage aus der Nachkriegszeit, die nach den Regeln des Funktionalismus entstand. Dieser war vom Prinzip beseelt, dass Gebäude nur durch Zweck und Funktion bestimmt werden sollen. Diese Ideologie entwickelte sich ab 1919 im Staatlichen Bauhaus Weimar zu einer neuen Idee des Bauens und fand später durch Persönlichkeiten wie Le Corbusier oder Mies ihre Ausdrucksformen.

Schönheit statt Funktion in der Schußwallgasse in Margareten (© Klaus-Jürgen Bauer)

Nach dem Krieg nützte man diese neue Idee nicht nur dafür, schnell und standardisiert mit Hilfe der Industrie Wiederaufbau zu leisten, sondern die funktionalistische Architektur sollte auch dazu beitragen, eine bessere Welt für die Menschen zu schaffen. Form follows function wurde damals beinahe zur einzigen Möglichkeit für einen architektonisch-gestalterischen Ausdruck.

Die Wiener Bauten dieser Zeit sahen daher alle ähnlich aus. Hohe Blöcke, quadratische, dreigeteilte Fenster, grauer Verputz und orangefarben herausgehobene Stiegenhäuser schufen Anlagen, denen spätere Kritiker oft Monotonie unterstellten. Hin und wieder aber gibt es in solchen Anlagen auch Bereiche, die formal auf andere architektonische Traditionen verwiesen. Das flache, abgerundete und säulenunterstellte Dach dieses Mistkübelunterstandes etwa bedient sich der eleganten Formensprache der Zwischenkriegszeit: Schönheit statt Funktion.


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