Guten Tag, liebe Leserin und lieber Leser!

Spüren Sie es auch? Es liegt heute etwas in der Luft. Endlich sind sie da, die Sonnenstrahlen, die uns in dieser ermüdenden Zeit auftanken wie ein E-Auto. Blumen und Bäume strecken sich nach ihr, die Vögel feuern sie zwitschernd an. Der Frühling ist endlich Frühling geworden. Wie passend! Denn heute ist ein historischer Tag. Nein, nicht weil Sie als einer der ersten Menschen weltweit diesen Newsletter lesen, obwohl, ja, auch deshalb. (Sehr cool, dass Sie dabei sind!) Vor allem aber geht heute das Klimavolksbegehren ins Finale. Und da Sie die Natur offenbar cool finden, zählen Sie womöglich zu den rund 380.000 Menschen, die es unterzeichnet haben.

Es ist eine kleine Erfolgsgeschichte für die Zivilgesellschaft und die Klimapolitik, denn der Druck der Bevölkerung hat dazu geführt, dass die Regierung mehr fürs Klima tun wird, als Türkisgrün im Koalitionsprogramm vereinbart hat. Die heimische Klimapolitik hat mich ja sehr lange sehr frustriert. Jahrelang ging nichts weiter, obwohl alles auf dem Spiel stand. Ich will jetzt gar nicht die alte Leier von den schmelzenden Polkappen, brennenden Regenwäldern und den Dürren herunterbeten. Das Ding ist schließlich viel größer. Lange habe ich nach einem einfachen Bild gesucht, um die komplizierte Krise zu beschreiben, und habe sie schließlich im Fußball gefunden: Für mich ist die Klimakrise dabei nicht die gegnerische, foul-spielende Mannschaft oder der unfaire Schiedsrichter, der die Spielregeln ändert. Sondern für mich ist die Klimakrise das Spielfeld, das kippt. Die einen spielen nach unten, die anderen spielen nach oben, alle stolpern, keiner schießt Tore. Für alle wird es schwerer (außer für ein paar wenige - in dem Fall: Tormann und Torfrau). Das Spiel macht keinen Spaß mehr.

Glauben Sie's mir, diese grundlegende Änderung ist extrem schwer zu vermitteln. Denn die Klimakrise ist altbekannt und passiert langsam, jede Sekunde, jeden Tag. Sie ist also in keinster Weise neu. Es gibt keinen einzelnen Schuldigen, keine einfache Erklärung. Die Worte, mit denen wir's zu tun haben – und bitte bleiben Sie jetzt für einen kurzen Moment noch wach – klingen so sexy wie "Sektorkoppelung", "Treibhausgasbudget" und "Kohlenstoffdioxid". All das führt dazu, dass sich die Klimakrise der medialen Logik entzieht. Das Thema ist zweifellos wichtig, aber warum muss es unbedingt gerade in die nächste Ausgabe rein? Da gibt's doch viel Aktuelleres.

Ich kann mich noch an meine Wut erinnern, als ich damals im Hitzesommer 2017 in der Falter-Blattkritik saß, in der wir uns allwöchentlich gegenseitig kritisieren. Wir erklären uns dabei, was im letzten Heft gut und schlecht war, eine Art Qualitätssicherung. Ich hatte eine Cover-Geschichte über die Klimakrise und Hitzetote in Wien geschrieben, auf die ich stolz war. Es war ein Thema, von dem ich annahm, das es die Leserschaft emotional packen würde. Chefredakteur Florian Klenk hielt die Geschichte für völlig übertrieben und alarmistisch (nein, so mutig bin ich nicht, er hat gesagt, ich dürfe das schreiben und würde nicht gefeuert ...). Es war keine Einzelmeinung. Dabei hatte ich nichts weiter getan als aktuelle wissenschaftliche Studien zitiert, die in den renommiertesten Fachjournals der Welt erschienen waren. Den Text hatte ich vorab von Wissenschaftlern gegenlesen lassen. Es war der fundierteste Bericht, den ich je geschrieben hatte.

Die Anekdote zeigt, wie weit die Wissenslücke zwischen dem Stand der Wissenschaft und dem Journalismus auseinanderklaffte. In den vergangenen Jahren hat sich viel getan, das ist der Klimabewegung rund um Fridays for Future zu verdanken. Sie hat auch Journalistinnen und Journalisten sensibilisiert. Seit dieser Woche hat der Falter ein eigenes Ressort namens "Natur" und diesen Newsletter. Jede Woche müssen wir nun für die nächste Ausgabe Natur-Themen finden und haben auch den Platz dafür. Vielleicht klingt es vermessen, aber es fühlt sich jedenfalls so an: Wir schreiben gerade ein kleines Stück Mediengeschichte. Oder zumindest ein Stück Falter-Geschichte.

Na gratuliere, jetzt wurde das Ganze doch grundsätzlicher als geplant. Dabei können wir heute ganz konkret sein: In diesen Stunden haben ÖVP, Grüne und Neos jedenfalls Kernforderungen des Volksbegehrens in einem Entschließungsantrag eingebracht. Mehr zu den Hintergründen lesen Sie unterhalb.

Heute ist jedenfalls ein guter Tag für die Zivilgesellschaft und den Klimaschutz. Und für den Falter auch :)

Kommen Sie gut ins Wochenende!

Ihr Benedikt Narodoslawsky

Ihr Benedikt Narodoslawsky

Natur so nah

an der Stadt und doch so gar nicht urban: der Nationalpark und die Naturschutzgebiete der Donau- und March-Auen bilden ein arten- und abwechslungsreiches Erholungsgebiet für Mensch und Natur.

Und mit dem Buch Nationalpark Donau-Auen lassen sich die wilden Naturschätze leicht entdecken.

historisch

Die Sache mit dem Klimavolksbegehren fing gar nicht gut an. Im September 2018 erklärte Niederösterreichs Grünen-Chefin Helga Krismer auf einer Pressekonferenz, sie starte nun ein Klimavolksbegehren. Die Medien waren so überrascht wie alle anderen auch, denn Krismer hatte zuvor kaum jemanden in ihren Plan eingebunden. Wer in diesen Tagen in die Klimaszene hineinlauschte, hörte Murren. Keine Umweltorganisation konnte das Volksbegehren unterstützen, das roch zu sehr nach Privatparty einer Parteipolitikerin.

So begann das Drama. Im November 2018 wollte Krismer die ersten Schirmherren für das Volksbegehren vorstellen. Es handelte sich um drei No-Names, und weil diese laut Krismer "sehr viel unterwegs sind", waren sie auf der Pressekonferenz gar nicht anwesend, sondern meldeten sich bloß per Videobotschaft zu Wort. Zwei Monate später stellte sie die nächsten Schirmherren vor. Drei weitere No-Names. Die totale Blamage drohte.

Ende März 2019 legte Krismer das Volksbegehren in die Hände der Zivilgesellschaft, denn ihr sei "bewusst, dass für ein breit getragenes Volksbegehren keine Person an der Spitze stehen kann, die parteipolitisch im Fokus steht." Katharina Rogenhofer übernahm, Mitbegründerin von Fridays for Future Österreich, sie hatte wenige Tage zuvor die erste Großdemo der jungen Klimabewegung angeführt. Der Wechsel brachte die Wende. Plötzlich unterstützten Promis von Hansi Hinterseer bis Friederike Mayröcker das Volksbegehren, dazu hochrangige Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften, Ärzte- und Arbeiterkammer sowie alle großen Umwelt-NGOs. Trotz Pandemie unterschrieben es bis Ende Juni 2020 rund 380.000 Österreicherinnen und Österreicher.

Dass die Unterschriften etwas bewegen werden, war längst noch nicht gegessen. Lukas Hammer (Grüne) führte im parlamentarischen Umweltausschuss den Vorsitz und wünschte sich einen Mehrparteien-Antrag. Julia Herr (SPÖ) und Michael Bernhard (Neos) wollten mit ihm etwas weiterbringen, aber ausgerechnet der Koalitionspartner bremste. In der Kronen Zeitung erklärte ÖVP-Umweltsprecher Johannes Schmuckenschlager vor einem Monat schließlich, das Volksbegehren solle nicht über das türkisgrüne Regierungsprogramm hinausgehen. Übersetzt hieß das: Klimavolksbegehren, bitte kübeln!

Das stieß nicht nur den Klimaschützerinnen und Klimaschützern sauer auf. Die Krone, die sich 2019 mit Fridays for Future solidarisiert und für sie kampagnisiert hatte, schrieb vor dem Verhandlungsfinale auf ihre Titelseite: "Kaum Fortschritte, weil ÖVP wieder bremst". Zugleich hatte das Klimavolksbegehren-Team große Unternehmen mobilisiert, die die Regierung dazu ermahnte, endlich in die Gänge zu kommen. Plötzlich bewegte sich die ÖVP doch noch. Sie verhandelte zwar nicht mit der Opposition, aber zumindest mit dem Koalitionspartner. War's der Boulevard, die Wirtschaft oder der gute Wille zur Weltrettung? Man weiß es nicht genau, es ist auch egal.

Nun wird das letzte Kapitel eines historischen Volksbegehrens geschrieben, das Sie als Natur-Interessierte/r vielleicht auch selbst unterschrieben haben. ÖVP, Grüne und Neos werden einen Entschließungsantrag einbringen, der über das türkisgrüne Koalitionsprogramm hinausgeht. Was genau drinsteht, können Sie hier auf der Parlaments-Website nachlesen. Wenn Sie sich die Mühe nicht antun wollen, können Sie eine Analyse im nächsten Falter lesen - Platz genug haben wir jetzt ja :)

schlechte-nachricht

Ojemine, Kunststoff-Weichmacher verformen offenbar nicht nur Plastik. Sie lassen auch Penisse und Hoden schrumpfen, senken die Samenqualität und machen auch Frauen unfruchtbarer. Das wird langsam zur Bedrohung für die menschliche Fortpflanzung, schreibt die Umweltmedizinerin Shanna Swan in ihrem Buch "Count down". Es geht um so genannte Phthalate, keine Ahnung, wie man das ausspricht. Laut dem deutschen Umweltbundesamt kommen sie unter anderem in Kabeln, Folien, Fußbodenbelägen, Schläuchen, Tapeten, Sport- und Freizeitartikeln vor. Die legendäre Umweltschützerin Erin Brockovich rezensierte das Buch "Count down" im Guardian, Greta Thunberg twitterte über Swans Erkenntnisse. Für den Umweltschutz engagieren sich laut Protestforschung übrigens mehr Frauen als Männer. Dabei hätten selbst Machos einen guten Grund zu demonstrieren.

gute-nachricht

Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal in der völlig unberührten Natur? Oder anders gefragt: Wann waren Sie das letzte Mal im niederösterreichischen Dürrenstein? Dort - an der Grenze zur Steiermark - liegt einer der letzten Urwälder der Alpen und das einzige international anerkannte Wildnisgebiet Österreichs. Es umfasst 3500 Hektar und ist strengstens geschützt. Gestern hat die steirische Landesregierung beschlossen, dieses Gebiet auf steirischer Seite zu erweitern. 3500 Hektar des Lassingtals sollen ebenfalls zum Wildnisgebiet werden, an jenes auf der niederösterreichischen Seite anschließen und das Areal damit verdoppeln. Man bringe den Spritzwein!

wichtig

Das streng geschützte Wildnisgebiet ist großartig, aber es reicht bei weitem nicht, um die Biodiversitätskrise zu stoppen. Die UN zielen darauf ab, 30 Prozent des Planeten unter Naturschutz zu stellen. Denn es geht ums große Ganze. "Indem sie die biologische Vielfalt bedroht, gefährdet die Menschheit die Grundlage für ihr eigenes Überleben." Mit diesen Worten eröffnete Unesco-Generaldirektorin Audrey Azoulay am Mittwoch das internationale Forum für Biodiversität. Österreichs Biodiversitätsrat forderte die Bundesregierung einen Tag später in einem offenen Brief dazu auf, sich jenen Staaten anzuschließen, die sich in der Biodiversität ehrgeizige Ziele gesteckt haben. Wie stark die Lebensräume, Tier- und Pflanzenarten mittlerweile auch hierzulande unter Druck gekommen sind, beschreiben die vier Umweltorganisationen Global 2000, Greenpeace, Umweltdachverband und WWF in ihren Analysen zum Zustand der österreichischen Natur, die sie anlässlich der Gründung des Falter-Naturressorts erstellt haben sowie die Falter-Titelgeschichte, die Sie zur Eröffnungsfeier des Ressorts ausnahmsweise kostenfrei lesen können.

empfehlung

Passend zum Thema noch einen schnellen Tipp: Wenn Sie sich im Wald nicht auskennen, aber sich gerne auskennen würden, können Sie sich den Wald jetzt einfach selbst auf dem PC oder dem Smartphone näherbringen. Das Bundesforschungszentrum für Wald hat dafür einen kostenlosen Online-Kurs "Biodiversität im Wald" erstellt, den Sie absolvieren können, wann und wo sie wollen. Es gibt keine Verpflichtungen. Ich habe kurz reingeschaut, die Sache sieht sehr vielversprechend aus.

danke

Sie haben's nun bis zum Ende geschafft, herzliche Gratulation. Die Zahl der Anmeldungen für den Natur-Newsletter haben uns im Falter alle umgehauen, das zeigt, wie groß das Interesse am Thema ist - und gibt natürlich auch dem Falter den nötigen Rückhalt. Wenn Ihnen das ganze sinnvoll erscheint und Sie jemanden kennen, die/den dieser Newsletter ebenfalls interessieren könnte, wäre es wirklich extrem lässig, wenn Sie ihr/ihm diesen Newsletter einfach weiterleiten. Je mehr Menschen an dem Thema interessiert sind, desto besser für alle. Sie können auch eine kleine Empfehlung dazuschreiben, alles von "Sehr cool!" bis "Wenn du nix besseres zu tun hast, lies mal rein" freut uns. Wenn Ihnen der Newsletter nicht gefallen hat, bitte verraten Sie's niemandem. Dann schreiben Sie uns einfach, wie wir das Ding besser machen sollen. Ist ja noch alles im Fluss, wir bemühen uns wirklich volle Kanne!

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