Kino im Kampf gegen Krisen und Konflikte

Bei der 15. Ausgabe des Wiener Filmfestivals This Human World werden große Fragen der Gegenwart verhandelt

FALTER:Woche, FALTER:Woche 48/2022 vom 30.11.2022

Drama von den Nöten einer ledigen Mutter im Iran: „Until Tomorrow“ mit Sadaf Asgari (Foto: Bodega Films)

Was tun, wenn die Eltern plötzlich zu Besuch kommen? Vor allem, wenn man ein uneheliches Kind hat, von dem die Familie nichts weiß, nichts wissen darf? Fereshteh bleiben nur ein paar Stunden, um alle Babysachen zu verstecken und ihre Tochter anderweitig unterzubringen. Zusammen mit ihrer besten Freundin Atefeh macht sich die Studentin auf die Suche nach jemandem, der die Kleine für eine Nacht bei sich aufnimmt. Doch keiner ihrer Bekannten wagt es, die Verantwortung zu übernehmen, am wenigsten ihr ehemaliger Freund, der Kindesvater.

Mit "Until Tomorrow", einem Drama des iranischen Regisseurs Ali Asgari, startet am 1. Dezember die 15. Ausgabe des Wiener Menschenrechtsfilmfestivals This Human World. An den folgenden zehn Tagen stehen 90 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme auf dem Programm, die aktuelle Krisen und soziale Missstände in den Blick nehmen.

Im Fall des Eröffnungsfilms, der für Fereshteh zu einer Odyssee durch Teheran wird, geht es um die patriarchalen Strukturen und absurden Gesetze, denen Frauen im islamischen Gottesstaat unterworfen sind. Der absolute Tiefpunkt ist erreicht, als der Leiter der Säuglingsabteilung eines Spitals von der jungen Mutter "ein bisschen Zärtlichkeit" für seine Hilfe verlangt.

Es gehört zur DNA dieses Festivals, "jenen eine Stimme zu geben, die in unserer lauten, schnellen Welt oftmals überhört werden" (Pressetext). So verhandelt eine ganze Reihe von Filmen identitätspolitische Fragen.

Theo Montoya verwebt in "Anhell69" das Gedenken an den plötzlich verstorbenen Star seines geplanten Spielfilmdebüts und Interviews mit queeren Personen aus seinem Umfeld. Schauplatz dieses außergewöhnlichen Films ist Medellín, dessen laute Partyszene nicht über die Hoffnungslosigkeit der ständig mit Drogen und Gewalt konfrontierten Jugend hinwegtäuschen kann. Für ihn selbst, erklärt Regisseur Montoya im Off-Kommentar, sei das Kino von jeher eine Zuflucht gewesen, der einzige Ort, an dem er seinen Tränen freien Lauf lassen konnte.

Die Protagonistin von "Power of the People" heißt Laura; ihre Eltern - die Mutter stammt aus Finnland, der Vater aus Guinea-Bissau - arbeiteten beide als Journalisten. Filmemacherin Mervi Enqvist begleitet die junge Frau, die sich der Lyrik und dem Kampf gegen Rassismus verschrieben hat, auf ihrem Studienweg an die University of Warwick und schließlich nach Chicago. Sie begegnet Aktivisten, die ihre Anliegen teilen, diskutiert mit ihnen die großen Fragen der Gegenwart. So etwa anhand von Amanda Gormans berühmtem Gedicht "The Hill We Climb", für dessen finnische Übersetzung sie schließlich mitverantwortlich zeichnet.

Der in Deutschland lebende Chris Krikellis reist in "Souls of a River" in seine griechische Heimat zurück, genauer: an den Fluss Evros, der über 200 Kilometer die Grenze zur Türkei bildet. An dessen Mündung bei Alexandroupolis trifft er einen Pathologen, der dort ertrunkenen Flüchtlingen ihre Identität zurückzugeben versucht. Indessen steigen Schwärme von Pelikanen sowie Flamingos auf, und der Wind rauscht durch landschaftliches Idyll.


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This Human World: bis 11.12. im Top- und Schikaneder-Kino

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