Gendergerecht sprechen, Ja bitte! Versuch einer unpolemischen Antwort an Armin Wolf

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 361

Armin Thurnher
am 12.03.2021

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Gestern führte ich etwas, das Armin Wolf „eine kleine Diskussion“ auf Twitter nennt; es ging ums Gendern. Ich hatte ein „Seinesgleichen geschieht“ diesem Thema gewidmet und mich damit, wie es ein freundlicher Kollege ausdrückte, vor die Kanone gestellt. Offenbar vermag ich es nicht, mich unpolemisch, sachlich und unempört auszudrücken.

Hier ist das Corpus delicti aus dem Falter:

„So ein Binnen-I weist den größten Macho als Frauenversteher aus, ein sternchenübersäter Schriftverkehr soll ein Firmament der Gutmenschlichkeit aufleuchten lassen, wo oft nur gendermäßige Angeberei und wohlfeiles Gesinnungsinkasso am Werk sind.“

Falter 10/2021 mit vielen Texten zur Genderdebatte, nicht nur Seinesgleichen geschieht

Ich gebe zu, dass es mich ärgert, wenn Menschen sich anmaßen, die Sprache per Beschluss in eine Richtung zu drängen. Die vergangenen Rechtschreibreformen habe ich widerwillig geschluckt und den wohlbegründete Widerstand verschiedener Autorinnen und Autoren mit der Zeit für verzopft und überstandig gehalten. In bestimmten Wörtern ein Doppel-S statt eines scharfen ß zu schreiben fiel mir nicht schwer.

Diesmal aber geht es um den Anspruch kommunikativer Machthaber, die Gesellschaft zu ändern, indem sie die Sprache ändern. Selbst wenn das so funktionieren sollte (manches spricht dafür, dass Machtfragen anders gelöst werden), gefällt mir als kommuniktivem Gegenmachthaber das Unternehmen nicht, weil es mir ästhetisch unbeholfen und vor allem nicht gut durchdacht scheint.

Ich habe in meinem Kommentar versucht, die Argumente einer Frau zu präsentieren, die mich überzeugten. Ich empfand, was ich mit Armin Wolf auf Twitter führte, übrigens nicht als Diskussion, weil er mir auf jeden Versuch, ein Argument vorzubringen, mit einem Geschmacksurteil antwortete. („Ich finde die Argumente vieler anderer Feministinnen überzeugender“. „Finde deine Begründung leider auch nicht überzeugend. Sorry!“) Da würde einen doch eine Andeutung des Warum interessieren, das einen zu solchen Findungen führt. Dass es unterblieb, ist naturgemäß dem Medium Twitter geschuldet, das zwar für seine „Debatten“ gerühmt wird, für ausführliche Begründungen jedoch keinen Platz lässt.

Aber auch in seinem neuen, umfänglichen Blogeintrag operiert Armin Wolf mit Empfindungen: „Letztlich überzeugt“ habe ihn die Lektüre eines Buches voller Gendersternchen. Darauf kann ich erwidern, dass ich kürzlich ein ebensolches las, dessen ich trotz interessanten Inhalts schwer ertrug (Christian Metz: Poetisch denken). Aber das besagt wenig. Das einzige Gefühl, das ich höflich noch einmal vortragen möchte, ist jenes Unbehagen, das ich im Angesicht moralischer Überlegenheitsgesten empfinde. Wer meine nervöse Empfindlichkeit in dieser Frage kennt, wenn von rechts moralisches Denken oder Moralisieren als Vorwurf gebraucht wird, und weiß, wie oft ich mir das von den üblichen Verdächtigen vorwerfen lassen muss, mag vielleicht ermessen, wie schwer es mir fällt, das zu sagen.

Vor allem, weil ich meine, dass mit diesem Gefühl – das vielleicht präziser als mit „Überlegenheit“ damit bezeichnet ist, dass die Sprechenden den Eindruck haben, richtig zu handeln – verdeckt wird, dass sie zwar in der beabsichtigen Sache der wirklichen Gleichberechtigung völlig recht haben, im Weg der Ausführung aber schief liegen. Und bei einem zentralen Argument irren.

Auch das generische Maskulinum tut Wolf mit einem Gefühl ab: es sei für „ihn keine akzeptable Variante“. Ich teile das Unbehagen am generischen Maskulinum durchaus (weswegen ich es selbst so wenig wie möglich benütze), halte aber das in der FAZ erschienene Argument von Dorothea Wendebourg für stichhaltig, dass es eben eines übergreifenden Genus bedürfe.

Der Denkfehler liegt darin, dass grammatikalisches und reales Geschlecht gleichgesetzt werden. Ich habe in meinem Kommentar jenen von Frau Wendebourg nur andeutungsweise zitieren können, hier kann ich das etwas ausführlicher tun, und vielleicht erweist man ja ihr die Freundlichkeit einer inhaltlichen Erwiderung, die man mir bisher nicht gegönnt hat. Wendebourgs Beruf hat nebenbei in unserer Twitter-„Diskussion“ für Befremden gesorgt; sie äußert sich hier als Frau, nicht als Theologin, die sie von Beruf ist. Aber auch Armin Wolf und ich sind keine Linguisten. Und solchen allein möchte ich die Debatte keineswegs überlassen.

Frau Wendebourg erzählt von ihrem Befremden, als sie einmal zur Theologin des Jahres gewählt wurde. Man erklärte ihr, Männer seien mitgemeint. Sie schreibt:

„Mit anderen Worten: Wir brauchen als Frauen (!) das genus commune, das heißt die grammatische Form, welche die ganze Menschheit, die Gesamtheit der in einem Beruf, einerFunktion, einer Lebenslage und so weiter verbundenen Menschen umfasst. Dieses genus commune ist im Deutschen im Singular meist das grammatische Maskulin. Meist, denn es gibt auch Wörter im grammatischen Feminin, die für Männer wie für Frauen gelten: etwa die Person. (Hat sich schon einmal ein als Person bezeichneter Mann beschwert?) Ja, im Plural muss alles, auch die Männerwelt, den Artikel „die“ erdulden, sogar die Päpste.

Nun fällt im Deutschen, anders als in manchen anderen Sprachen, die Markierung des physischen Maskulins tatsächlich meist mit der grammatischen Maskulinform zusammen.Daraus ziehen manche den – falschen – Schluss, es seien hier allein männliche Subjekte gemeint, und von Frauen sei nur die Rede, wenn sie über eigene, meist abgeleitete Wortformen identifiziert würden (-in oder, man mag es drehen wie man will, auch -*in). Das heißt, wenn man von Frauen spreche, müsse man eine solche eigene Form gebrauchen, andernfalls seien Frauen nicht gemeint oder bestenfalls „mitgemeint“. Aber wenn man so argumentiert, sitzt man sofort in der Falle, welche die beiden genannten Fälle veranschaulichen: Frauen können dann nie für das Ganze stehen. Gekennzeichnet durch vom angeblich Physisch-Männlichen abgeleitete, sekundäre Wortformen stehen sie immer nur für die eigene Gruppe. Mir reicht das, gerade aus Frauenperspektive, nicht!“

Ich darf berichten, dass mir einige Frauen nach meinem Falter-Kommentar mitteilten, sie würden ebenso empfinden. Sie würden sich durch das generische Femininum nicht auf-, sondern abgewertet fühlen. Das ist mir nachvollziehbar, und kann nicht, wie manche meinen, durch einen bloßen Willensakt einfach umgedreht werden.

In den USA, berichtet Frau Wendebourg, blicke man mit Befremden auf Versuche, Frau Merkel zur „chancelloress“ zu machen; man sei doch bestrebt, die abgeleiteten Separatformen für Berufe („waitress“ von „waiter“, „actress“ von „actor“) wieder aufzugeben, weil „die abgeleitete Separatform für Frauen als abwertend empfunden“ werde.

Wie konnte es zu all dem kommen? Noch einmal Wendebourg:

„Was dazu geführt hat, dass über weite Strecken das grammatische mit dem physischen Maskulin gleichgesetzt wurde, sind die historischen Umstände. In den meisten Berufen und hervorgehobenen Positionen waren es nun einmal Männer, die sie innehatten. So bildete das Verständnis der grammatisch maskulinen Form die realen gesellschaftlichenVerhältnisse ab (nicht umgekehrt, als hätte die Grammatik die Verhältnisse geschaffen, wie oft suggeriert wird).

Was wir demgegenüber brauchen, ist die Eroberung der generisch-maskulinen Wortform durch die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Einen Zustand, in dem es so viele Frauen im Beruf des Ingenieurs und der Position des Präsidenten, Kanzlers und so fort gibt, dass Frauen im generischen Maskulin nicht etwa mitgemeint, sondern von vornherein ebenso gemeint sind. Nicht nur irgendein abgeleitetes, separates ,Eigenes‘ zu wollen, sondern das Ganze zu wollen – das muss das Ziel sein! Das ganze Wort, die ganze Realität. So viel Selbstbewusstsein sollten wir haben.“

Das nenne ich Argumente.

Lösungen? Ich plädiere für den Versuch, immer Formulierungen zu finden, welche die sprachliche Ungleichbehandlung von Geschlechtern überhaupt vermeiden. Das heißt, ich plädiere dafür, weder der Sprache, noch den Geschlechtern Gewalt anzutun. Wenn sich Ungerechtigkeit nicht vermeiden lässt, kann man bei den Genera abwechseln und einmal von Österreicherinnen, dann wieder von Österreichern sprechen (inkonsequent, aber ungerecht). Manchmal wird man beide Formen verwenden, soviel Platz und Zeit, da hat Armin Wolf recht, muss sein. Oft sollen das Binnen-I und Sternchen einfach fehlende Kreativität und gedankliche Mühe ersparen.

Die von Armin Wolf, Tarek Leitner und anderen vorgeschlagenen Formen (auch Sternchen, Binnen-I, Glottalstopp undsoweiter), versuchen hingegen, sprachliche Ungleichbehandlung zu akzentuieren. Sie wollen der Sprache und den Geschlechtern Gewalt antun, um gerechter zu erscheinen. Ungerechtigkeit soll als Sprechproblem schmerzend sichtbar gemacht werden, und mit eingetretener Gewöhnung an den Schmerz ist die Sprachregelung durchgesetzt. Wird damit das Problem der Ungleichbehandlung erledigt sein?

Es stimmt außerdem nicht, dass man sich binnen kurzem an alles gewöhnt, vor allem dann nicht, wenn man stets geistig nachfragen muss, wer nun genau gemeint sei, und die blöden Ausnahmen (Nazis, Mörder) ohnehin bleiben. Kürzlich hörte ich auf Ö1 eine Sendung über Komponistinnen, und wusste nicht, ob es ausschließlich um Komponistinnen ginge. Was, wie sich herausstellte, interessanterweise der Fall war.

Da halte ich es doch mit der Idee, sprachlich gewaltlos wie beschrieben zu verfahren, und Gleichberechtigung entschlossen politisch anzupacken. Die sprachlichen Verhältnisse werden den realen folgen.


P.S. In seinem Text konnte sich Armin Wolf wieder einmal den Seitenhieb nicht verkneifen, mein Falter-Text stehe „hinter einer Paywall“. Als sein alter Bewunderer und noch älterer Freund der öffentlich-rechtlichen Idee und folglich als Verteidiger der GIS-Gebühren möchte ich ihn hier einmal in aller Freundlichkeit darauf aufmerksam machen, dass ich ihn, wenn ich keine Gebühren bezahle, nicht sehen kann. Wer hinter der größten Paywall des Landes agiert, hat kein Recht, anderen jahrelang das Wort Paywall in bessernder Absicht entgegenzuhalten.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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