Krisenbildung

Lukas Schlögl
am 23.06.2021

Die Coronakrise hat einige Annahmen über die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Frage gestellt. Prägte die Sorge um eine Verdrängung menschlicher Arbeit durch Roboter, Computer und Automatisierung die Debatte über die Zukunft der Arbeit in den letzten Jahren, so erscheinen seit Beginn der pandemischen Zeitrechnung neue Technologien eher als ein Rettungsanker menschlicher Arbeit. Nur dank Telekommunikation, Online-Lösungen und einer um sich greifenden „virtuellen Normalität“ konnten viele ihrem Beruf überhaupt nachgehen, besonders jene mit Bürojobs.

Wer ist vor Jobverlusten sicher? 

Vom Arbeitsmarkt verdrängt mussten sich paradoxerweise jene fühlen, die körpernahe und kreative Dienstleistungen verrichten: Menschen also, deren Erwerbstätigkeit nicht computerisierbar ist und daher eigentlich als besonders sicher gegolten hatte. Denn selbst intelligente Maschinen können interpersonelle Dienstleistungen wie Physiotherapie, Kulturvermittlung oder gastronomische Services bisher nicht ersetzen. Beschäftigte in gerade diesen Branchen traf die Krise oft existenziell und nur Kurzarbeit und Notfallfonds verhinderten ein Sozialkrise.

Gleichzeitig erfuhren Basisdienstleistungen wie etwa Handel oder Pflege eine gesellschaftliche Aufwertung, die mit dem Diskurs einer Überwindung nicht-akademischer „Routinearbeit“ eigentlich schlecht harmoniert. Der Job Futuromat des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schätzt basierend auf einem statistischen Modell die Tätigkeit eines Kassierers bzw. einer Kassiererin im Handel als zu 100% automatisierbar ein. Gerade solche Tätigkeiten behielten kurioserweise auch im Zeitalter intelligenter Maschinen zuletzt einen unverzichtbaren, ja systemerhaltenden Charakter.

Das Mantra der Weiterqualifizierung

Was bedeuten diese Entwicklungen für die Arbeitsmarktpolitik? Die Forderung nach Weiterqualifizierung gehört zum Standard-Repertoire fast aller politischen Akteure, die sich mit der Zukunft der Arbeit befassen. Wer sich für Tätigkeiten ausbilden lässt, die Maschinen nicht übernehmen können, dem sei eine rege Nachfrage am Arbeitsmarkt garantiert–– so die Prämisse dahinter. Diese Prämisse ist nicht ganz falsch. Aber: Die aktuelle Pandemie zeigt, dass ein funktionierender Arbeitsmarkt mit vielen Voraussetzungen und Risiken verbunden ist, die über das oft strapazierte „Wettrennen gegen die Maschine“ hinausgehen.

Wettrennen gegen die Krisen

Die Sorge über technologischen Wandel am Arbeitsmarkt begleitet die Gesellschaften des Westens seit Beginn der industriellen Revolution. Ein Blick in die Statistik zeigt allerdings, dass Arbeitslosigkeit in der Realität stark durch Konjunkturzyklen und Krisenereignisse getrieben wird. Wenn es in den letzten Jahrzehnten größere Probleme am Arbeitsmarkt gab, war der Auslöser immer eine Rezession, sei es aufgrund einer Banken-, Währungs-, Schulden-, Öl- oder eben Coronakrise.

Empirisch gesehen bleiben Disruptionen des Arbeitsmarktes auch in Zukunft viel eher von wirtschaftlichen, politischen, gesundheitlichen und absehbar auch ökologischen Krisen zu erwarten als von der voranschreitenden Digitalisierung. Die nächste Krise beschert uns vielleicht kein Coronavirus—sondern ein Computervirus, der die vernetzte Gesellschaft ins Mark trifft. Oder ein seit längerem von Energiefachleuten gefürchteter großflächiger Kollaps der Stromversorgung. Oder eine globale Missernte in Folge von Kaskadeneffekten beim Klimawandel. Oder eine Hyperinflation, ein eskalierender internationaler Konflikt, ein größeres Erdbeben, das sensible Infrastruktur zerstört, vielleicht eine Nuklearkatastrophe wie zuletzt in Fukushima.

Schönwetterprogramm

Im Umkehrschluss bedeuten solche Szenarien, dass eine breit angelegte Strategie der Krisenerkennung und -prävention sowie der sozialen Absicherung gegen Krisen mindestens so wichtig ist wie der ständige Ruf nach Skills, Skills, Skills. Die Pandemie zeigte ferner, dass auch Tätigkeiten in Bereichen wie Einzelhandel, Transport, Pflege oder Kinderbetreuung, die keine MINT-Abschlüsse verlangen, weiterhin hohe Relevanz behalten. Und sie lieferte letztlich den Nachweis, dass tiefgreifende staatliche Interventionen (von Kurzarbeit bis zu Notverstaatlichungen) im Ernstfall politisch legitim bleiben.

Eine Reduktion unserer Arbeitsmarktpolitik auf die individualisierende Einladung „Bilde dich weiter, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen“ erscheint vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wie ein nicht mehr ganz zeitgemäßes Schönwetterprogramm—sowohl angesichts der aktuellen Coronakrise, aber wohl auch mit Blick auf die Zukunft.

 

Eine Version dieses Beitrags erschien ursprünglich im A&W Blog. Der Text basiert auf einem ausführlicheren Artikel im Sammelband „Ein Jahr Corona: Ausblick Zukunft der Arbeit“ der Reihe „Sozialpolitik in Diskussion“ der AK Wien. 

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