Keine Scheu vor Rehen und Ziegen
Erich Klein in FALTER 44/2020 vom 30.10.2020 (S. 27)
Paul Celan bezeichnete Kunst einst als Unendlichsprechung vor lauter Sterblichkeit und Umsonst. Auf Dichtung, angeblich die Königsdisziplin der Literatur, scheint das ganz besonders zuzutreffen: von der frischgekrönten Nobelpreisträgerin Louise Glück lag auf Deutsch kein Buch vor. Immerhin: Im Fall des Georg-Büchner-Preises, der am 31. Oktober an Elke Erb verliehen wird, ist der Suhrkamp-Verlag mit einer Auswahl aus dem 40 Jahre umfassenden Schaffen der Dichterin rechtzeitig zur Stelle.
Büchner stürzte die Verhältnisse lakonisch um und meinte von seinem „Lenz“: „Nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte.“ Erbs Schreiben begann 1980 noch lapidarer, wenngleich auch hermetischer: „Ob du nicht mein Galgen / sein möchtest, Luft.“
Elke Erb wird 1938 im Rheinland geboren und übersiedelt elfjährig in die DDR; der Vater hat als marxistischer Literaturprofessor eine Stelle in Halle bekommen. Auf das übliche Landarbeiterjahr folgen Germanistik- und Slawistikstudium, 1975 veröffentlicht die Verlagslektorin, die mittlerweile auch aus dem Russischen übersetzt, erste eigene Gedichte und Prosa. In der Nachfolge von Brecht und Huchel bedichtet Erb dialektisch „Sklavensprache“: „Die Hände, die gestreichelt haben, kann man ruhig abhacken. / Das ändert nichts, denn sie würden das Streicheln nicht / lassen, und es führt zu nichts Gutem.“
Lineare Schreibweisen beendet die Erb bald zugunsten eines experimentellen Zugangs, der den Einfluss der Beat-Lyrik verrät. Freilaufendes Sprachspiel ohne explizite Sinnzusammenhänge passt ohnedies besser zur Literaturszene Prenzlauer Berg; Erbs Nähe zum Underground ist für den offiziellen Schriftstellerverband Grund genug, sich seines Mitglieds zu entledigen. „Flip-out-Elke“, mittlerweile auch im Westen bekannt, schreibt: „Es fängt an dunkel zu werden / Es hört auf hell zu sein.“ Nach Deutschlands Wiedervereinigung ist auch Zeit für eine Charakterisierung der DDR von außen: „Ein geregeltes Geisterreich, das bei Leipzig noch Ackerbau treibt.“
Für Elke Erb folgen zahlreiche Publikationen in kleinen Verlagen, Reisen, viele Preise und vor allem skrupulöse Wortarbeit, die keine Genregrenzen mehr kennt: Mal klingen ihre Texte, als träfe Hölderlin auf Joseph Beuys, es wird wieder gereimt, gelegentlich kommt Bedeutungsschweres in Trochäen einher. Erb schreibt „5-Minuten-Notate“, hängt „Kram-Gedanken“ an, die „die Sterne in ihrer Bahn halten“, und hat auch keine Scheu mehr vor Gedichten mit Rehen, Eseln und Ziegen: „Alle Federpracht trägt der Pfau auf dem Rücken. / Er weiß von nichts. / Ich geh Blumen pflücken. / Das ist hier der Fall.“
Georg Büchner war als Frühkommunist ein Säulenheiliger der DDR-Literaturgeschichte. Kaum ein Autor kam dem Namensgeber des Preises so nahe wie Erb in ihrer kleinen „Schöpfungsgeschichte“: „Am Anfang unterschied ich Himmel und Erde (eine Frage der Übersetzung), ich nahm dazu Licht. Ich nannte das Licht Tag, so erhielt ich die Nacht. Ich addierte Abend und Morgen, das tat den Tag.“
Nicht nur in Zeiten, da in Deutschland wieder einmal über die Rolle der Schriftsteller diskutiert wird, wer als links und wer als rechts zu gelten habe, ist die Verleihung des Büchner-Preises an die große Elke Erb ein höchst passendes Statement. Es geht um Literatur.